Atomschutzbunker, Gasthaus, PanzerEin Osthesse erforscht verlassene Orte der Zivilisation
Marius darf sich nicht erwischen lassen, wenn er seinem Hobby nachgeht - denn ganz legal ist das nicht. Der Osthesse ist Urban Explorer, sucht und betritt verlassene Orte und Gebäude. Ihm gewähren sich Einblicke, die den meisten von uns verwährt bleiben. move36-Reportage nimmt Sie mit zu den Lost Places.
Von Sascha-Pascal Schimmel und Joscha Reinheimer
Reiz des Unbekannten
Das Unbekannte, Verborgene zieht die Menschen schon immer in seinen Bann. In den heutigen von Infrastruktur durchzogenen, hochindustrialisierten Zivilisationen scheint es dieses Unbekannte kaum noch zu geben.
Marius (Name von der Redaktion geändert) und seine Kumpel begeben sich auf die Suche nach dem Verborgenen. Sie sind Urban Explorer, steigen in verlassene Gebäude, ziehen durch alte Stollen.
Der Osthesse Marius hat move36-Reportage von einer seiner letzten Expeditionen berichtet.
"Autofriedhof" in verlassenem Gasthaus nahe Bad Hersfeld
Mitten in der Provinz, umzingelt von Wald und Feldern, hat Marius ein verlassenes Gasthaus entdeckt.
Verwüstet ist es dort, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Das Rauschen der nahegelegenen Bundesstraße und Autobahn dringt durch die zersplitterten Fensterscheiben.
Wo früher Menschen Erholung gefunden haben, wird es sich heute niemand mehr gemütlich machen.
Marius und seine Kumpel sind über ein offenes Fenster im Keller in das Haus gelangt. So geht es meistens. Einbrechen würden sie nicht, sie steigen ein, ohne etwas zu zerstören. Hausfriedensbruch begehen sie dabei trotzdem.
Im Gasthaus steht die Zeit still. Der Verfall jedoch schreitet voran.
Während die Urban Explorer verlassene Gebäude wie rohe Eier behandeln, lassen andere ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Graffiti mit Beleidigungen sind da noch harmlos.
Unklar, wie lange das Gasthaus schon vor sich hinbröckelt. Der Zustand und hinterlassene Zeitungen lassen auf Jahrzehnte schließen.
Vom Dachgeschoss aus führt eine wackelige Holzleiter in einen Raum. Sie ist der einzige Weg in diesen hinein und aus diesem heraus.
Der Raum gleicht einem "Autofriedhof". Sitzpolster, Plastikteile, Scheibensplitter, Scheinwerfer: Sie liegen wild verstreut auf dem Boden.
Die Autoteile müssen aus der Werkstatt stammen, die sich im Anbau des Gasthauses befindet.
Ein ebenso trostloser wie beruhigender Ort.
Zuflucht vor einem Atomkrieg
Während eines Atomangriffs hätten Soldaten hier Zuflucht gefunden. Dieser Atomschutzkeller befindet sich in einem Gebäude einer leerstehenden Kaserne. Leuchtfarbe an Wänden, Treppenstufen und Türrahmen weist im Dunkeln den Weg.
In dem Keller befinden sich mehrere separate Schutzräume. In ihnen stehen Pumpen, mit denen die Soldaten im Fall der Fälle per Hand frische Luft in den Raum gepumpt hätten.
Aus jedem dieser Räume gibt es einen Notausstieg, etwa einen Meter hoch und mit Betonklötzen verschlossen.
Die Urban Explorer müssen vorsichtig sein, damit sie nicht entdeckt werden. Nur das Knirschen ihrer Schuhsohlen ist zu hören.
In einem Teil des Atomschutzkellers hat Marius einen großen Heizungsraum entdeckt - etwa 70 Quadratmeter. Wasser tropft von der Decke und den Wänden.
Weiter oben bietet die Küche der Kaserne ein Bild der Verwüstung.
Der ehemalige Speisesaal sieht nicht besser aus. Früher haben hier Hunderte Soldaten gegessen, heute bedecken mindestens ebenso viele Glassplitter den Boden.
In Teilen der Kaserne wuchern Moos und Schimmel auf den feuchten Wänden.
Das Highlight für Marius: Sämtliche Spiegel dieses Waschraums sind ganz. In der Regel fallen sie Chaoten zum Opfer.
Mitten im Wald: Wie in einem Horrorfilm
Es ist stockfinstere Nacht. Die Urban Explorer machen sich auf den Weg in einen Wald. Dort und auf dem angrenzenden Gelände befindet ein früheres Bundeswehrareal.
Erstes Ziel: mehrere Backsteinruinen. Die Bundeswehr nutzte sie mutmaßlich als Lager.
Dort bietet sich ein Szenario wie in einem Horrofilm. Wind pfeift durch die scheibenlosen Fenster, draußen rauschen die Blätter, Holzknacken ist zu hören. Nur die Taschenlampe spendet Licht.
Marius hält seine Expeditionen auf Fotos fest. Dazu stellt er die Kamera auf eine lange Belichtungszeit ein, strahlt mit der Taschenlampe alles an.
In den Backsteinruinen lagern noch immer Unmengen Natodraht-Rollen. Ausgerollt müssen es mehrere Kilometer sein.
Auch wenn Marius den Ort bereits mehrfach besucht hat: die Spannung bleibt. "Ich entdecke immer wieder etwas Neues. Oder etwas, das nun zerstört oder nicht mehr da ist."
Am anderen Ende des Geländes haben die Urban Explorer ein echtes Schmuckstück entdeckt: einen alten, verbeulten Panzer.
Der Panzer befindet sich auf einem früheren Truppenübungsplatz. Er wurde während der Übungen schrottreif geschossen. Nun macht sich die Natur auf ihm breit - und vereinnahmt damit ein Stück Zivilisation.
Credits
Text und Redaktion: Sascha-Pascal Schimmel
Schnitt: Joscha Reinheimer
Videos und Fotos stammen aus privaten Quellen.
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