Der müde "Seemann"
„Die letzten Jahre
waren öde und freudlos. Wobei, schön war es eigentlich nie.“
Diese zwei Sätze prügeln auf die Fassade, die Robert M. sich
verpasst hat, und lassen deren Putz bröckeln.
Der 59-Jährige
wirkt eigentlich wie ein Seemann, dem das mieseste, nasseste und
windigste Wetter nichts anhaben kann.
Das feste Fleisch der Hände
drückt ebenso fest zu. Die Wangen strahlen in gesundem Rot. Robert
M. gibt sich angriffslustig, haut einfach raus, was ihm nicht passt.
Er steckt voller Energie, ist trotzdem so müde vom Leben.
"Die goldenen 80er"
Seit 20 Jahren kommt
Robert M. regelmäßig für einige Tage nach Fulda. Häufig sitzt er
dann stundenlang auf seinem Rucksack am Rande des Uniplatzes, direkt
vor der Filiale der Deutschen Bank. „Die lassen mich in Ruhe“,
sagt M.
Vor seine Füße hat
er eine blaue Tasse gestellt. An guten Tagen landen 20 Euro in ihr.
Häufig deutlich weniger. Der 59-Jährige bettelt und peppt so sein
„Einkommen“ von 13,50 Euro Tagessatz, den das Amt in Fulda zahlt, auf.
„Ich habe die
goldenen 80er erlebt“, sagt M. „Damals ist beim Betteln mehr
herumgekommen.“ „Die goldenen 80er“, das klingt komisch, wenn
Robert M. das sagt. Genau seit dieser Zeit ist der Mann
obdachlos. Er war auf die schiefe Bahn geraten. Warum? Das weiß er
nicht genau - wie vieles andere.
"Ein bisschen mehr Schläge"
Robert M. kommt am 21.
April 1958 in Frankfurt zur Welt. Später zieht die Familie - Mutter,
Vater, fünf Kinder - nach Dieburg bei Darmstadt. „Wir hatten immer
Wurscht auf dem Brot“, sagt M. Daher wisse er noch, wie richtige
Wurst schmecke.
Die Mutter geht an
fünf Abenden die Woche Kellnern. Der Vater ist Dreher und Fräser.
„Ich hatte eigentlich ein normales Familienleben“, sagt der
59-Jährige. „Bis auf ein bisschen mehr Schläge.“ Die seien aber
eigentlich nicht prägend für das Leben gewesen.
"Das Blut spritzte bis zur Decke"
Irgendwann gerät des Leben des gebürtigen Frankfurters aus den Fugen. Er stellt mehrere
„kleinere Schweinereien“ an;
kleinere Delikte. Aus diesen werden irgendwann größere.
1979 landet M. für
knapp zwei Jahre im Gefängnis, wegen „zwei, drei Einbrüchen“.
Stuttgart, Stammheim - bekannt aus der Zeit, als Mitglieder der
Terrororganisation RAF dort eingebuchtet gewesen sind.
Im Knast rastet Robert M aus. Mit drei Männern teilt er sich eine Zelle. Einer bedroht ihn. M. schlägt zu. „Das Blut spritzte bis an die
Decke.“
Daumen raus
Nach der Haft arbeitet M. in der Gastronomie. Einige Monate später macht das Lokal dicht. M. haut ab, lernt das „Reisen“. Daumen raus, per Anhalter durch Deutschland - und in die Obdachlosigkeit.
Obdachlos in der Heimat
Die Obdachlosigkeit
führt Robert M. in seine alte Heimat. „Meine erste Station ist die
Ottostraße beim Hauptbahnhof in Frankfurt gewesen“, sagt er. „Dort hat sich eine
Unterkunft für Obdachlose befunden.“
Rückblickend sind
das die "guten" Zeiten, von denen M. heute spricht.
„Ich habe in Frankfurt bei
schönem Wetter die Schuhe ausgezogen und mich auf eine Bank am
Mainufer gelegt. Nach dem Aufwachen steckten manchmal ein paar
Scheine in den Schuhen.“ Heute würde ihm die jemand klauen,
während er schläft.
Hausverbot in Vinzenzküche
In den ersten Jahren
als Obdachloser übernachtet M. häufig auf der Straße.
Mittlerweile nutzt er die Schlafplätze, die viele Städte für
Menschen wie ihn zur Verfügung stellen.
Ohnehin ist sein
Leben deutlich ruhiger geworden. War M. früher in ganz Deutschland
unterwegs, tingelt er heute zwischen Fulda, Mainz und Würzburg hin
und her.
Engere Beziehungen
pflegt er nicht. M. hat es nicht so mit Menschen. „Auf die Leute
bei der Tafel oder der Bahnhofsmission habe ich keinen Bock“, sagt
der 59-Jährige. „In der Vinzenzküche hatte ich Hausverbot, weil ich einem anderen zwei, drei Ohrfeigen verpasst habe, nachdem der
eine der Schwestern angemacht hat.“
"Zeit, dass ich etwas gewinne"
Robert M. braucht keine Gesellschaft, sagt er. „Ich hocke mich auf eine Bank, lese
Zeitung oder ein Buch, damit komme ich blendend klar.“
Ab und an setzt M.
einen kleinen Betrag bei einer Sportwette - Fußball, deutsche Ligen.
„Es wird Zeit, dass ich mal wieder etwas gewinne.“
Früher hat der
gebürtige Frankfurter viel Geld an Spielautomaten verdaddelt. Die
Zeiten sind vorbei. Auch Alkohol trinkt er seit 20 Jahren kaum noch.
„Letztes Jahr hatte ich mir vorgenommen, über das Jahr verteilt
sechs Radler zu trinken - es ist bei einem geblieben.“
Der Körper streikt
Ein Laster wird M.
jedoch nicht los - und vielleicht will er es auch gar nicht
loswerden: das Rauchen. Den Tabak eines Päckchens dreht der
59-Jährige innerhalb von zwei Tagen zu Zigaretten und raucht diese.
Eine Routinebeschäftigung.
Dass er seinem
Körper damit keinen Gefallen tut, weiß M. wohl. Täglich nimmt er
elf Tabletten. Sein Herz ist nicht mehr das kräftigste, Wasser
sammelt sich in den Lungen an.
Robert M. ist kurzatmig. Manchmal wacht er
nachts auf, weil der Druck auf der Brust so groß wird.
Im Mai bekommt er
einen Herzschrittmacher. Es wird nicht die erste größere OP für M.
sein. „2011 haben sie mir in Würzburg eine künstliche Hüfte
reingebastelt“, sagt er.
Endstation?
Das Leben auf der
Straße hat den Körper von Robert M. verschlissen, ohne Ersatzteile
geht es nicht mehr. Wie lange er dieses Leben noch durchhält?
„Vielleicht noch dieses und nächstes Jahr.“
Das Ziel des
59-Jährigen, wenn er sich festlegen müsste, und das fiel ihm schon
immer schwer: Würzburg. „Eine schöne, kompakte Stadt. Alles
fußläufig zu erreichen.“ Dort habe er die Chance auf eine
Übergangsunterkunft für ein halbes Jahr und im Anschluss etwas
Festes.
"Mord war nicht dabei"
Die Zeit der
„Abenteuer“ wäre endgültig vorbei. „Davon habe ich einige
erlebt, viele könnte ich gar nicht erzählen. Mord war aber nicht
dabei. Alles verjährt.“
Ist die Rückkehr
oder der Start in ein „normales“ Leben denn nie eine Alternative
gewesen? „Es ist schwer, ins normale Leben wieder reinzuspringen“,
sagt M. „Ich weiß nicht, ob ich es gewollt hätte. Ich weiß
nicht, wie es ist, ein normales Leben zu führen.“
Info: Obdachlosenhilfe in Fulda
In Fulda gibt es mehrere Angebote für obdachlose Menschen. Darunter das Haus Jakobsbrunnen des Caritasverbands für die Regionen Fulda und Geisa und die Bahnhofsmission.
Credits
Text: Sascha-Pascal Schimmel
Fotos: Sascha-Pascal Schimmel, dpa
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Obdachlosenunterkunft Haus Jakobsbrunnen
Die integrierte Wohnungslosenhilfe Haus Jakobsbrunnen richtet sich an
Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen.
Das Angebot umfasst eine Tagesstätte, eine ambulante
Fachberatungsstelle für wohnungslose Menschen, ein stationäres Wohnheim
und ein ambulantes Betreutes Wohnen als Hilfe zur Überwindung besonderer
sozialer Schwierigkeiten.
(Quelle:
Caritasverband für die Regionen Fulda und Geisa)
Bahnhofsmission
Bahnhofsmission sieht sich als erfahrbare Kirche am Bahnhof. Sie hilft jedem, sofort, kostenlos und ohne Anmeldung. In der Fuldaer Bahnhofsmission
An der Richthalle 7 befindet sich ein Aufenthaltsraum, ein Ruheraum, ein Wickeltisch, eine Behindertetoilette. Bedürftige erhalten Brot, warme und kalte Getränke.
(Quelle: Bahnhofsmission)